Verteilungsbericht 15.01.2022

ZERISSEN

Nach meinem ersten Einsatz für Schau‘ nicht weg e.V. am vergangenen Samstag wurde ich gefragt, warum ich sowas überhaupt mache, ob ich vielleicht Angst habe, selbst mal in so einer Situation zu landen, also obdachlos zu werden. Ich bin bekennender Atheist, aber ich bin mit dem Christentum großgeworden, hier gilt das Konzept der Nächstenliebe und generell gibt es in jeder großen Religion Gebote, sich auch mitfühlend mit den Armen zu beschäftigen. Im Islam ist das Konzept des Almosens sogar eine der Säulen für ein gottgefälliges Leben, quasi Pflicht. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch mal etwas abgebe, so habe ich immer wieder mal ein wenig Kleingeld in den Taschen, mal ist es ein bisschen Tabak, ab und zu habe ich auch einen kleinen Snack in der Tasche, den ich dann einem hungrigen Menschen gebe, auf dem Kiez kann es auch vorkommen, dass ich einfach mal ein Bierchen spendiere und manchmal reicht auch ein
kleines Gespräch schon aus. Ich kann nicht jedem etwas geben, oder habe genug Mut und Kraft, Menschen aus ihren Teufelskreisen zu ziehen, oft genug fühle ich eine gewisse Hilflosigkeit der ganzen Misere gegenüber, schüttele innerlich meinen Kopf und frage mich, warum sowas überhaupt möglich ist. Gerade hier in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, wo wir doch eigentlich im Wohlstand nahezu ersticken könnten.
Ich wurde schon oft für meine Haltung kritisiert, selten sogar angefeindet. Wie kann ich denn nur so handeln? Diese Menschen gehören doch alle einer Mafia an, die betteln zum Geschäftsmodell gemacht habe, die würden sich doch von dem Geld eh nur Alkohol und Drogen kaufen und am Ende seien doch alle selbst schuld an ihrer Misere, Niemand müsse in diesem Land obdachlos sein. Dann spüre ich bei meinen Gegenüber Neid, Missgunst, Gier, oder gar Hass und es ist immer ein kleiner Stich ins Herz. Warum sind die Menschen so? Sie haben genug zu essen, ein Dach über den Kopf, mehr als genug Klamotten im Schrank. Dann gehen die Diskussionen los, egal um welche Gruppe von Bedürftigen es geht, es gibt eine immer Gruppe, die es ja eher nötig hätte, man hangelt sich von einer Blaupause von Schicksalsschlägen zur nächsten und ich spüre, wie Ohnmacht und Wut mich in der Balance hält. Ich habe keine Angst obdachlos zu werden, denn ich denke, dass ichviele liebe und auch treue Menschen in meinem Leben habe, die mir, sollte es mal hart auf hart kommen, ein kleines Fleckchen Erde für mich übrighaben, wo ich mich für eine Weile niederlassen kann und dafür bin ich sehr dankbar, weil ich eben weiß, dass dies leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Am vergangenen Samstag war ich nun zum zweiten Mal bei der Essens- und Sachspendenausgabe von Schau‘ nicht weg e.V. als Fotograf und Allrounder im Einsatz und traute mich auch ein wenig weiter ins Feld, sprach mit einigen Bedürftigen und freute mich, dass wenigstens zwei freundliche Passanten das Gespräch mit mir suchten. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Da sind die Bedürftigen, die alle eine Geschichte zu erzählen haben, die froh sind, wenn sie gesehen werden, eine warme Mahlzeit, oder ganz alltägliche Dinge bekommen, wie Kleidung, Hygieneartikel und für die dieser Samstag auch mal eine Gelegenheit bietet, eine kleine Pause mit Klönschnack einzulegen.
Da sind die Helfer von Schau‘ nicht weg, die zum Teil schon Stunden vor der Verteilung hart arbeiten, um warme Mahlzeiten zu kochen, Spenden zu sammeln und sich um den Transport kümmern. Menschen, die mir ein Lächeln auf das maskierte Gesicht zaubern und mit einer energischen Selbstverständlichkeit und -verpflichtung agieren. Leider sind dort auch oft Passanten, die uns keines Blickes würdigen, stumm vorbeischreiten und leider auch ab und an einfach nur dreist sind. Da waren die „Spaziergänger“, die einem fragwürdigen Selbstverständnis von „Freiheit“ und „Spaltung“ folgen. Eine Gruppe mittelalter Damen waren angetrunken wohl in derber Feierlaune und ließen sich fröhlich von einem mutmaßlichen Reporter filmen, wie sie mitten und leider auch störend durch die Verteilung bewegten und das mehrfach. Da war ein angetrunkener Herr, der ebenso fröhlich, dafür ungefragt, die Bedürftigen und Helfer mit auf einem Video hatten und zum Ende noch die Gruppe von Menschen, die flankiert von der Bundespolizei unsere Abräumarbeiteten störten. Keiner schien ein Bewusstsein dafür zu haben, dass er stört und dabei auch die Würde vieler Menschen verletzt hat. Bei all dem Stress und der mitunter doch anstrengenden Arbeit liegen manche Nerven blank, das kann ich gut verstehen, auch mir hätte nicht nur an diesem Tag manchmal der Kragen platzen können.
Doch platzen nicht eh schon zu viele Krägen? Ist es nicht sinnvoller innezuhalten und dafür zu sorgen, dass man sich verträgt? Lösungen zu finden, statt Probleme zu suchen? Gemeinsamkeiten zu entdecken, statt weiter Gräben auszuheben? Meine innere Zerrissenheit spiegelt wider, was ich im Außen betrachte. Wie erreichen wir die Menschen, die eigentlich alles haben und nicht darüber nachdenken, dass sie eigentlich auch helfen und spenden könnten. Wie schaffen wir es, dass wir einander die Hand reichen, anstatt uns abzulehnen? Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben in diesem reichen Land, wo Überfluss so ungerecht verteilt ist?
Das sind nur 2 Cent, aber ich hoffe, sie helfen.
Euer Markus für Schau‘ nicht weg e.V.
0 Kommentare

Hinterlasse ein Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.