Verteilungsbericht vom 01.01.2022

VISIONEN

Wie oft hört man zu Sylvester: „Hoffentlich wird das neue Jahr besser!“ Gerade zu Neujahr hoffen so viele Menschen auf Besserung!
Besserung klappt aber nur durch Veränderung und dafür muss man selbst der Motor sein und sein Herz in die Hand nehmen! Gute Vorsätze verfliegen zu oft „mit dem Wind“. Vielleicht ist es besser, zurück zu schauen und nicht nur das Schlechte zu betrachten, sondern die positiven Dinge, die es auch gab, mehr wertzuschätzen! Dann wird das „alte“ Jahr nicht vollkommen herabgewürdigt und die Erwartungen für das neue Jahr werden vielleicht erreichbarer, indem man das Gute aus dem „alten“ Jahr mitnimmt!?
Für die meisten unserer Gäste ist jedes Jahr gleich „besch……..“! Ohne Hilfestellung sind sie „verloren“. Oder wie in dem ABBA-Song: Wenn man keine Ziele oder Visionen mehr hat, kann man sich auch gleich hinlegen und sterben… Da ist es ein Segen, dass wir im Rückblick auf 2021 feststellen können, dass wir viel Leid nicht nur gelindert, sondern so viel Lebensmut, Würde und Zuneigung „ausgegeben“ haben, wie irgend möglich und das zu etlichen, erfolgreichen „Lebensneuanfängen“ geführt hat, auch durch unser Wohnprojekt!
Mädels und Kerls, ALLE, die Ihr daran Anteil habt, egal in welcher „Funktion“: DANKE, dass Ihr mir/uns so sehr helft, meine/unsere Visionen in die Realität umzusetzen! 🙏🙏🙏🙏🙏
Wir „sehen“ uns nächsten Samstag wieder, wie gewohnt.
Einen guten Start ins neue Jahr für Euch alle!
Jule, für Schau‘ nicht weg e.V.

Verteilungsbericht 08.01.2022

IMAGINE

Gestern erlebten wir eine Verteilung der besonderen „Kontraste“, aber nicht innerhalb unserer Ausgabefläche, da war das Zentrum/Auge eines Taifuns, gefühlt, aber um uns herum tobte eben jener:
Wo man hin sah, Mannschaftswagen der Bundespolizei aus ganz Norddeutschland, Bundespolizei in voller Montur und all die Menschen, die sich gestern sammelten, um zu demonstrieren und ein Teil derer, der leider dazu neigt, auch Gewalt als Mittel einzusetzen. Zum Teil hatte man das Gefühl, es herrschten kriegsähnliche Zustände. Vier Bundespolizisten aus Schleswig-Holstein, warfen uns dann wohl mit den Demonstranten in einen „Topf“, und sorgten dafür, dass wir das warme Essen, Getränke, Stullen sowie Obst, erst nach zweistündiger Wartezeit, als das Essen endlich kalt war, zum Drob fahren durften.
Natürlich verstehen wir den Frust, wenn Polizisten Extraschichten einlegen müssen und dann nur stundenlang in ihrem Mannschaftsbus sitzen oder davor stehen. Aber müssen dann ausgerechnet wir als „Stimmungsaufheller“ herhalten? Zum Glück befreiten uns gegen 19.00 Uhr zwei Polizisten des PK11 aus unserer misslichen Lage. Dort kennt man uns und schätzt unsere Korrektheit sehr. DANKE!!!
Auch die Teams der DB-Sicherheit sind eine „Bank“ für uns und haben immer ein wachsames Auge, falls wir einmal in Bredouille kommen sollten, denn am HBF kommt es leider allzu häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. DANKE!!!
Wie so oft in den letzten Monaten, haben wir uns auch gestern gefragt, warum die Gräben zwischen Menschen unterschiedlicher Ansichten inzwischen so tief sind, dass Aggression und verbale Gewalt, auf beiden Seiten, „normal“ geworden sind!? Werden wir nun jeden Samstag im Auge eines Taifuns verteilen müssen oder gibt es noch genügend Menschen, die bereit sind, Konflikte zu lösen, ohne andere Menschen verbal oder körperlich zu verletzen?
Hoffentlich!
John Lennon hat mit seinem Lied „Imagine“ einen der Songs veröffentlicht, die so sehr appellieren, friedlich miteinander zu sein und um Frieden zu kämpfen! Da sind wir ganz bei ihm!
Am kommenden Samstag sind wir wieder vor Ort. Ohne „Kampfanzug“.
Wir wollen nur ruhig unsere Gäste versorgen, sonst nichts.
Jule für Schau‘ nicht weg e.V.

Verteilungsbericht 15.01.2022

ZERISSEN

Nach meinem ersten Einsatz für Schau‘ nicht weg e.V. am vergangenen Samstag wurde ich gefragt, warum ich sowas überhaupt mache, ob ich vielleicht Angst habe, selbst mal in so einer Situation zu landen, also obdachlos zu werden. Ich bin bekennender Atheist, aber ich bin mit dem Christentum großgeworden, hier gilt das Konzept der Nächstenliebe und generell gibt es in jeder großen Religion Gebote, sich auch mitfühlend mit den Armen zu beschäftigen. Im Islam ist das Konzept des Almosens sogar eine der Säulen für ein gottgefälliges Leben, quasi Pflicht. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch mal etwas abgebe, so habe ich immer wieder mal ein wenig Kleingeld in den Taschen, mal ist es ein bisschen Tabak, ab und zu habe ich auch einen kleinen Snack in der Tasche, den ich dann einem hungrigen Menschen gebe, auf dem Kiez kann es auch vorkommen, dass ich einfach mal ein Bierchen spendiere und manchmal reicht auch ein
kleines Gespräch schon aus. Ich kann nicht jedem etwas geben, oder habe genug Mut und Kraft, Menschen aus ihren Teufelskreisen zu ziehen, oft genug fühle ich eine gewisse Hilflosigkeit der ganzen Misere gegenüber, schüttele innerlich meinen Kopf und frage mich, warum sowas überhaupt möglich ist. Gerade hier in Deutschland, einem der reichsten Länder der Erde, wo wir doch eigentlich im Wohlstand nahezu ersticken könnten.
Ich wurde schon oft für meine Haltung kritisiert, selten sogar angefeindet. Wie kann ich denn nur so handeln? Diese Menschen gehören doch alle einer Mafia an, die betteln zum Geschäftsmodell gemacht habe, die würden sich doch von dem Geld eh nur Alkohol und Drogen kaufen und am Ende seien doch alle selbst schuld an ihrer Misere, Niemand müsse in diesem Land obdachlos sein. Dann spüre ich bei meinen Gegenüber Neid, Missgunst, Gier, oder gar Hass und es ist immer ein kleiner Stich ins Herz. Warum sind die Menschen so? Sie haben genug zu essen, ein Dach über den Kopf, mehr als genug Klamotten im Schrank. Dann gehen die Diskussionen los, egal um welche Gruppe von Bedürftigen es geht, es gibt eine immer Gruppe, die es ja eher nötig hätte, man hangelt sich von einer Blaupause von Schicksalsschlägen zur nächsten und ich spüre, wie Ohnmacht und Wut mich in der Balance hält. Ich habe keine Angst obdachlos zu werden, denn ich denke, dass ichviele liebe und auch treue Menschen in meinem Leben habe, die mir, sollte es mal hart auf hart kommen, ein kleines Fleckchen Erde für mich übrighaben, wo ich mich für eine Weile niederlassen kann und dafür bin ich sehr dankbar, weil ich eben weiß, dass dies leider keine Selbstverständlichkeit ist.
Am vergangenen Samstag war ich nun zum zweiten Mal bei der Essens- und Sachspendenausgabe von Schau‘ nicht weg e.V. als Fotograf und Allrounder im Einsatz und traute mich auch ein wenig weiter ins Feld, sprach mit einigen Bedürftigen und freute mich, dass wenigstens zwei freundliche Passanten das Gespräch mit mir suchten. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Da sind die Bedürftigen, die alle eine Geschichte zu erzählen haben, die froh sind, wenn sie gesehen werden, eine warme Mahlzeit, oder ganz alltägliche Dinge bekommen, wie Kleidung, Hygieneartikel und für die dieser Samstag auch mal eine Gelegenheit bietet, eine kleine Pause mit Klönschnack einzulegen.
Da sind die Helfer von Schau‘ nicht weg, die zum Teil schon Stunden vor der Verteilung hart arbeiten, um warme Mahlzeiten zu kochen, Spenden zu sammeln und sich um den Transport kümmern. Menschen, die mir ein Lächeln auf das maskierte Gesicht zaubern und mit einer energischen Selbstverständlichkeit und -verpflichtung agieren. Leider sind dort auch oft Passanten, die uns keines Blickes würdigen, stumm vorbeischreiten und leider auch ab und an einfach nur dreist sind. Da waren die „Spaziergänger“, die einem fragwürdigen Selbstverständnis von „Freiheit“ und „Spaltung“ folgen. Eine Gruppe mittelalter Damen waren angetrunken wohl in derber Feierlaune und ließen sich fröhlich von einem mutmaßlichen Reporter filmen, wie sie mitten und leider auch störend durch die Verteilung bewegten und das mehrfach. Da war ein angetrunkener Herr, der ebenso fröhlich, dafür ungefragt, die Bedürftigen und Helfer mit auf einem Video hatten und zum Ende noch die Gruppe von Menschen, die flankiert von der Bundespolizei unsere Abräumarbeiteten störten. Keiner schien ein Bewusstsein dafür zu haben, dass er stört und dabei auch die Würde vieler Menschen verletzt hat. Bei all dem Stress und der mitunter doch anstrengenden Arbeit liegen manche Nerven blank, das kann ich gut verstehen, auch mir hätte nicht nur an diesem Tag manchmal der Kragen platzen können.
Doch platzen nicht eh schon zu viele Krägen? Ist es nicht sinnvoller innezuhalten und dafür zu sorgen, dass man sich verträgt? Lösungen zu finden, statt Probleme zu suchen? Gemeinsamkeiten zu entdecken, statt weiter Gräben auszuheben? Meine innere Zerrissenheit spiegelt wider, was ich im Außen betrachte. Wie erreichen wir die Menschen, die eigentlich alles haben und nicht darüber nachdenken, dass sie eigentlich auch helfen und spenden könnten. Wie schaffen wir es, dass wir einander die Hand reichen, anstatt uns abzulehnen? Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben in diesem reichen Land, wo Überfluss so ungerecht verteilt ist?
Das sind nur 2 Cent, aber ich hoffe, sie helfen.
Euer Markus für Schau‘ nicht weg e.V.

Verteilungsbericht 22.01.2022

DAS „WOHNZIMMER“ obdachloser Menschen in Hamburg…

Laut Wikipedia besuchen täglich 550.000 Menschen, den Hamburger Hauptbahnhof. Das macht ihn somit zum am stärksten frequentierten Bahnhof Deutschlands. Nicht verwunderlich, dass er laut diversen Pressequellen auch als der gefährlichste Bahnhof Deutschlands gilt. Im Schnitt seien es zehn Delikte am Tag, die die Sicherheitskräfte der DB und die Polizeibeamten vor Ort beschäftigen.

Eine halbe Million Seelen huschen also tagein tagaus über die Bahnsteige, Menschen aus allen Schichten, allen Herren Länder. Sie sind auf dem Weg zur Arbeit, oder nach Hause, fahren in den Urlaub, oder treffen sich zu Terminen und mit Freunden. Und wie jeden Samstag war auch das Team von Schau‘ nicht weg e.V. am gestrigen Tag wieder vor Ort und verteilte wie gewohnt Lebensmittel und Sachspenden an Obdachlose und Bedürftige. Es sollte eine entspannte Verteilung werden, die trotz des typisch hanseatischen Schmuddelwetters für das ein oder andere dankbare und freundliche Lächeln unter den FFP2-Masken der Gäste und den Helfer sorgte.
Der ganze Ablauf wirkte wie aus einem Guss, Auf- und Abbau, Lebensmittel- und Sachspendenausgabe liefen ohne besondere Vorkommnisse ab und es gab immer wieder auch Gelegenheit für einen entspannten Klönschnack untereinander, während man köstlichen Kakao, oder einen Kaffee genießen konnte. Friedlich war es und obwohl gefühlt mehr Menschen denn je in der Schlange für eine Mahlzeit, warme Kleidung und Hygieneartikel standen, kamen wir flott und zügig voran. Man wünscht sich mehr von solchen Tagen, mehr lächelnde und freundliche Gesichter, die man trotz Maske gut erkennen kann, mehr Effizienz im Schaffen und Tun und generell mehr Frieden und Gelassenheit in unserem chaotischen Kosmos, den wir als Gemeinschaft zusammen gestalten.
Ich wünschte, wir gäben alle mehr acht aufeinander, nähmen die Scheuklappen ab, lägen auch die Furcht vor Begegnungen ab und würden uns öfters mal ein Lächeln schenken. Diese Kleinigkeiten sind es doch am Ende, die unser Dasein lebenswert machen, oder?
Das sind nur 2 Cent, aber ich hoffe, sie helfen.
Euer Markus für Schau‘ nicht weg e.V.

Verteilungsbericht 29.01.2022

DOES LOVE MAKE THE WORLD GO ROUND?

Diese Frage würde wohl spontan mit „Nein“ beantwortet werden. Zu wenig von allem Positiven, wie Toleranz, Rücksichtnahme, Solidarität, Zuwendung, etc. und eben Liebe, bestimmen unser aller Leben. Wer zu schwach ist, für den „Überlebenskampf“, der fällt eben. Punkt. Und „darf“ liegen bleiben. Punkt. Das Zeitalter der Narzissten, die sich häufig in Leitungsfunktionen befinden – sind ja echte „Kämpfer“ und „Bestimmer“, sind verliebt in die „Macht“ – hat gerade erst begonnen…und schon haben die von denen gelernt, die „nur“ an eher kleinen Schalthebeln sitzen und gehen dabei zuweilen sogar „über Leichen.

Eine Sachbearbeiterin in einer Notunterkunft in Hamburg, zum Beispiel:
Im Rahmen des Winternotprogramms ist ein Paar dort untergebracht. Wir nennen sie einfach „Nadine“ und „Mike“. Sie sind wohnungslos, aber ausgelöst durch ihre LIEBE, schaffen sie es in kleinen Schritten, gemeinsam den Weg zurück in ein „normales“ Leben einzuschlagen. Sie stellen Anträge, suchen und finden eine Wohnung (Bezug wäre morgen gewesen!) und freuen sich sehr auf ihr 1. gemeinsames Kind, dass Ende Juni/Anfang Juli auf die Welt kommen soll. Nadine ist „trocken“, seit sie weiß, dass sie schwanger ist. Aber der Entzug macht sie labil und deshalb braucht sie die Sicherheit, die Mike ihr gibt, immer in ihrer Nähe. Genau das ordnet auch der hinzugezogene Arzt an: Nadine darf auf keinen Fall von Mike getrennt werden. Die Beiden fühlen sich sicher, denn der Arzt hat diesen Fakt auch in der Akte der Beiden in der Unterkunft vermerkt. An diesem Punkt nun, setzt „unsere“ Sachbearbeiterin mit ihrer punktuell wirksamen „Machtposition“ ein: Sie veranlasst, dass Nadine, „Hals über Kopf“, in eine andere Einrichtung verlegt wird und Mike darf nicht zu ihr, da sich beide zuvor in Quarantäne befunden hatten, obwohl sie selbst täglich negativ getestet wurden, sich also nicht bei anderen Bewohnern der Einrichtung angesteckt hatten. Nadine hat die Trennung einfach nicht ausgehalten, aufgrund der besonderen Situation und ihres äußerst labilen Zustandes. Sie hat sich das Leben genommen und niemand hat sie rechtzeitig gefunden.
Gegen die „erfahrene“ Sachbearbeiterin, wird nun ermittelt. Das wird einen Verweis geben und dann „weiter so“! Alles andere wäre eine Überraschung! Gestern war Mike bei unserer Verteilung. Er ist am Boden zerstört. Natürlich. Wenigstens hat er nach drei Tagen wieder etwas gegessen und war in der Lage zu reden, uns von diesem „Wahnsinn“ zu erzählen. Eine so liebenswerte, ältere Dame, die seit Jahren jeden Samstag zu Gast bei uns ist, kommentierte das so: „Das ist Doppelmord!“
Ich wünschte, es wäre die Liebe, die unser aller Dasein bestimmt. Sie ist es nicht. Sie kann nur zeitweilig trösten, die, die stetig mit ihrem Überlebenskampf „beschäftigt“ sind!
Wir sind alle tief erschüttert. Nur eine Feststellung versöhnte uns gestern ein bisschen: In unserem Team gibt es keine Narzissten. Die fühlen sich bei uns nicht wohl, weil sie nicht „zum Zug“ kommen! Wie nur, kann man diese Welt heilen?
Jule für Schau‘ nicht weg e.V.

See you in Heaven – Nachtrag Verteilungsbericht 29.01.2022

Nadine und Mike  waren so glücklich. Im Sommer sollte ihr erstes, gemeinsames Kind geboren werden und heute hätten sie ihre Wohnung beziehen können. Der Neuanfang, nach einer schweren Zeit der Wohnungslosigkeit… Hätte diese Sachbearbeiterin Urlaub gehabt (siehe auch unser Verteilungsbericht vom 29.01.2022), wären Nadine und Mike nicht in Quarantäne gewesen, wenn doch nur Jemand Nadine rechtzeitig gefunden hätte… Diese Gedanken sind Makulatur, denn wir können Nadine nicht zurück holen.
Mike wünscht sich zum Abschied, dass sie im Familiengrab seiner Familie beigesetzt werden kann und keine „Armen-Bestattung“ bekommt. Dabei wollen wir helfen, mit Geldspenden und BITTEN EUCH, ebenfalls eine kleine Spende, Stichwort:
„Beisetzung für Nadine“, zu leisten:
An Schau‘ nicht weg e.V.
Via Paypal: schaunichtwegev@gmail.com
Oder via Überweisung:
Deutsche Skatbank
IBAN: DE82 8306 5408 0004 2190 40
DANKE, im Namen von Mike und uns allen!